Internationaler Workshop

 

7.-8. April 2017

 

Museum Fünf Kontinente, München

 

 

Wir freuen uns, die nächste Zwischentagung der AG Museum in Zusammenarbeit mit dem Museum Fünf Kontinente, München, zum Thema „Provenienzforschung zu ethnologischen Sammlungen der Kolonialzeit“ am 7./8. April 2017 ankündigen zu können. Eine Anmeldung zur Teilnahme ist empfohlen, da die Zahl der Plätze begrenzt ist (Kontaktdaten siehe Flyer).

 

ANLASS

 

Spätestens seit der Causa Gurlitt ist "Provenienzforschung" ein zentrales Thema kulturpolitischer Debatten und musealer Arbeit geworden. Während in der Regel von NS-Provenienz-forschung die Rede ist, rückte jüngst auch die kolonialzeitliche Herkunft musealer Sammlungen in den Blick. Insbesondere im Rahmen der Planungsprozesse zum Humboldt-Forum erfahren Fragen nach der Provenienz ethnologischer Sammlungen öffentliche und mediale Aufmerksamkeit.1 Derzeit werden etwa im Maji-Maji-Aufstand (1905-1907) in Tansania erbeutete Gegenstände,2 Objekte aus der Schleifung des Königspalasts von Benin (1897), Kriegsbeute aus dem damaligen Deutsch-Südwestafrika3 oder menschliche Gebeine aus der Sammlung von Felix von Luschan diskutiert und/oder bearbeitet. Zunehmend wird auch von Staaten, Institutionen und Initiativen aus dem globalen Süden an europäischen Museen und Sammlungen die Forderung nach einer sammlungsgeschichtlichen Aufarbeitung ihrer Bestände herangetragen, zuletzt etwa von Australien, Neuseeland und Hawaii an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.4 Auf der Jahrestagung des Deutschen Museumsbundes zum Thema "Die Biografie der Objekte. Provenienzforschung weiter denken" (Essen 2015) betonte zuletzt auch die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, dass Provenienzforschung "die Kolonialzeit, und hier vor allem den Umgang mit Human Remains, mit einschließen" müsse.5 So konnten auf der Tagung "Positioning Ethnological Museums in the 21st Century" in Hannover erste Vernetzungen stattfinden und Fallbeispiele, auch aus dem internationalen Kontext, diskutiert werden.6

 

Aufgrund der geschilderten Entwicklungen hat die AG Museum der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde das Thema bei ihrer letzten Mitgliederversammlung am 1.10.2015 ausführlich diskutiert. Von allen Anwesenden wurde ein verstärkter Bedarf an Austausch und Zusammenarbeit artikuliert, und zwar einerseits zwischen den ethnologischen Sammlungen im deutschsprachigen Raum, andererseits zwischen Museums- und Universitätsethnologen. Zudem wurde die Notwendigkeit ethnologischer Expertise, insbesondere die Methode der Feldforschung, bei der Bearbeitung kolonialzeitlicher Sammlungen hervorgehoben. Die AG Museum möchte diesen Desideraten nachgehen, indem sie eine Tagung ausrichtet, die die oben umrissene Diskussion fortsetzt, den Austausch vertieft, Möglichkeiten der Zusammenarbeit exploriert und Strategien der Systematisierung und Institutionalisierung von sammlungshistorischer Forschung diskutiert. Veranstaltungsort und Gastgeber ist das Museum Fünf Kontinente in München.

 

BEITRAG ZUM AKTUELLEN FORSCHUNGS- und DISKUSSIONSSTAND

 

Zwar betreiben ethnologische Museen seit Langem historische Forschung zur Herkunft und Genese von Sammlungen und Objekten schon allein zum Zweck der Zuschreibung von Artefakten zu bestimmten Herkunftsregionen.7 Neu ist jedoch das zunehmende Interesse an einer nicht nur punktuellen und „anlassbezogenen“8, sondern systematischen Aufarbeitung von Objekten, die in der Kolonialzeit erworben wurden.9 Dies ist eine besondere Herausforderung weil die Bestände ethnologischer Museen erstens kulturell-geographisch wie auch vom Material her höchst divers sind, und zweitens in vielen Fällen nur ansatzweise inventarisiert, dokumentiert und wissenschaftlich bearbeitet wurden. Systematische sammlungshistorische Forschung ist daher nur als langfristiges Projekt denkbar und wirft damit die Frage nach Möglichkeiten der Institutionalisierung (und Internationalisierung) auf welche angesichts knapper Mittel zunächst begrenzt erscheinen. Aus diesem Grund scheinen Vergleich und Vernetzung mit ähnlich gelagerten Projekten aus dem anglophonen Kontext von besonderer Relevanz (vgl. Panel 1 des vorläufigen Tagungsprogramms).

 

Hintergrund dieser Tendenz ist die verstärkte Diskussion kolonialer Erwerbsumstände in der Kolonialgeschichts- und Globalgeschichtsschreibung, den museum studies/material culture studies ethnologischer Prägung und den postcolonial studies. Eine immer wichtigere Rolle spielen dabei Konzepte wie Verflechtungsgeschichte,10 hybride Räume und Dinge11, "verstrickte Objekte"12, aber auch die Untersuchung von Gewalt-, Unrechts- und Widerstandskontexten,13 eine kritische Institutionsgeschichte14 sowie der Fokus auf die agency (Handlungsmacht) lokaler Akteuren und im übertragenen Sinne auch auf die agency von Objekten in der kolonialen Begegnung.15 Die genannten Konzepte ermöglichen u.a. eine differenziertere Diskussion der Erwerbszusammenhänge jenseits von Dichotomisierungen wie etwa legitimer vs. illegitimer Besitz, Raub vs. Ankauf etc. In diesen Rahmen gestellt, kann (post-)koloniale Provenienzforschung sowohl durch Fallbeispiele wie durch Systematisierungsansätze auch einen Beitrag zu globaler (post-)kolonialer Verflechtungsgeschichte, zur Fachgeschichte der Ethnologie und zur Geschichte der Herausbildung der akademischen Disziplinen und ihrer Sammlungen um 1900 leisten.

 

Verstärkt diskutiert wurden in den letzten 40 Jahren auch Fragen der Rückgabe von Artefakten und menschlichen Überresten aus kolonialen Erwerbszusammenhängen in ihre Herkunftsländer. Rückgabeforderungen setzten dabei immer wieder wichtige Provenienzforschungsprojekte und -programme in Gang. Im anglophonen Raum wurden entsprechende Verfahren seit den 1970er Jahren entwickelt,16 im deutschsprachigen Raum hat eine breitere Diskussion um Rückgabe nach ersten Initiativen in den 1980er Jahren – jedoch erst vor einigen Jahren begonnen.17

 

ZIELE

 

Der Workshop soll die oben skizzierte aktuelle Diskussion um kolonialzeitliche/ethnologische Provenienzforschung vertiefen. Wichtig ist aus Perspektive der AG Museum, eine breit angelegte Diskussion zwischen interessierten und engagierten Wissenschaftlern zu ermöglichen und im Spannungsfeld zwischen kulturpolitischen Erfordernissen und praktisch-methodischen Möglichkeiten konkrete Desiderate, Herausforderungen und notwendige nächste Schritte zu skizzieren. So soll der Workshop auch die überfällige Verbindung zwischen theoretischer Diskussion und praktischer Beschäftigung mit systematischer Provenienzforschung herstellen. Konkret zielt der Workshop ab auf:

 

1. Austausch und Vernetzung zwischen (Museums-)ethnologen, die bereits mit kolonialzeitlicher Provenienzforschung befasst sind, und Kollegen, die sich in nächster Zeit damit befassen wollen/müssen.

 

2. Vernetzung von Museen und Universitäten mit dem Ziel, gemeinsame Forschungsprojekte zu initiieren. In diesem Zuge auch Brainstorming für gemeinsame Themenentwicklung.

 

3. Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer zwischen (Museums-)ethnologen und Kollegen aus der NS-Provenienzforschung.

 

4. Vorbereitung auf eine mögliche Zusammenarbeit ethnologischer Museen mit der Stiftung Zentrum Kulturgutverluste sowie mit weiteren potentiellen Partnern und Förderern (Arbeitskreis Provenienzforschung u.a.).

 

5. Austausch mit Initiativen, Institutionen und Experten aus den Herkunftsländern der zur Debatte stehenden Sammlungen

 

ABLAUF UND ORGANISATION

 

Aufgrund der oben genannten Ausrichtung kombiniert der Workshop klassisches Tagungsformat (erster Tag) und Workshopsituation (zweiter Tag). Am ersten Tag wird durch zwei Panels mit Vorträgen à 20 Minuten größtmöglicher Input von außen angestrebt einerseits von internationalen Gästen, die an ihren Häusern bereits Erfahrungen mit Programmen zu kolonialzeitlicher Provenienzforschung gemacht haben, andererseits von deutschen VertreterInnen der NS-Provenienzforschung. Um einen möglichst breiten, transkulturellen Austausch zu ermöglichen, wird der Tag durch eine Paneldiskussion mit deutschen und internationalen Teilnehmern abgeschlossen. Hier sollen unterschiedliche Perspektiven und Standpunkte erörtert werden. Die Paneldiskussion soll das Thema kolonialzeitliche/ethnologische Provenienzforschung stärker in die (Münchner) Öffentlichkeit tragen. Der zweite Tag fokussiert auf die deutsche Situation und wird daher auf Deutsch stattfinden (mit Simultanübersetzung für die englischsprachigen Konferenzteilnehmer). Zudem hat der zweite Tag durchgehend Workshopcharakter. So werden in den drei Panels des zweiten Tages keine klassischen Vorträge gehalten, vielmehr liefern kurze, pointierte Impulsreferate á 10 Minuten einen Problemaufriss, anschließend wird der Großteil der Zeit für Diskussion zur Verfügung stehen. Die Chairs der Panels bringen einschlägige Expertise für die jeweils anvisierten Themen mit und haben die Aufgabe, den Panels konkrete Fragen voranzustellen, um eine zielorientierte Diskussion zu gewährleisten. Der Diskussionsstand soll protokolliert und zusammen mit den Impulsreferaten als Online-Publikation zur Verfügung gestellt werden (z.B. auf der Homepage der AG Museum, der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde und des Museums Fünf Kontinente), um eine Fortsetzung der Debatte zu ermöglichen. In der Abschlussdiskussion am zweiten Abend sollen Perspektiven für die Formalisierung von Netzwerken und Kooperationen sowie für weitere Veranstaltungen zu dem Thema exploriert werden.

  

LITERATUR

 

Bergner, Felicitas 1996: Ethnografisches Sammeln in Afrika während der deutschen Kolonialzeit. Ein Beitrag zur Sammlungsgeschichte deutsche Völkerkundemuseen. In: Paideuma. Mitteilungen zur Kulturkunde, Band 42, S. 225-235

  

Berner, Margit; Hoffmann, Anette; Lange, Britta 2011: Sensible Sammlungen. Aus dem anthropologischen Depot. Hamburg

 

Byrne, Sarah (Hg.): Unpacking the Collection. Networks of Material and Social Agency in the Museum. Heidelberg

 

Clifford, James 1997: Routes. Cambridge/MA

 

Deutscher Museumsbund e.V. 2013: Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen. O.O.

 

Förster, Larissa 2016: Plea for a more systematic, comparative, international and long-term approach to restitution, provenance research and the historiography of collections. In: Museumskunde 81, S. 49-54

 

Erckenbrecht, Corinna 2010: Auf der Suche nach den Ursprüngen. Die Australien-Reise des Anthropologen und Sammlers Hermann Klaatsch. Köln

 

Feest, Christian 1995: The Collecting of American Indian Artifacts in Europe, 1493-1750. In: Kupperman, Karen (Hg.): America in European Consciousness, 1493-1750. Williamsburg, S. 324–360.

 

Grütters, Monika 2015: Kulturgut verpflichtet. Der Beitrag der Politik zur Provenienzforschung. In: Museumskunde. Die Biografie der Objekte. und weiter denken. Band 80, 2/15, herausgegeben vom Deutschen Museumsbund, S. 6-9

 

Ivanov, Paola (in Vorbereitung): Die Tansania-Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin. Provenienzforschung und die Wiederauffindung von Objekten aus dem antikolonialen Widerstand. In: Baessler-Archiv Nr. 63

 

Kraus, Michael; Noack, Karoline (Hg.) 2015: Quo vadis, Völkerkundemuseum? Eine Einführung. Bielefeld

 

O’Hanlon, Michael; Welsch, Robert (Hg.): Hunting the Gatherers. Ethnographic Collectors, Agents, and Agency in Melanesia 1870s-1930s. Oxford

 

Plankensteiner, Barbara 2016: The Benin Treasures: Difficult Legacy and Contested Heritage. In: Hauser-Schäublin, Brigitta; Prott, Lyndel V. (Hg.): Cultural Property and Contested Ownership. The Trafficking of Artefacts and the Quest for Restitution. Abingdon, S. 133-155.

 

Simpson, Moira 2001: Making Representations. Museums in the Post-Colonial Era. London

 

Stelzig, Christine 2004: Afrika am Museum für Völkerkunde zu Berlin: 1873-1919. Aneignung, Darstellung und Konstruktion eines Kontinents. Herbolzheim

 

Stoecker, Holger; Winkelmann, Andreas; Schnalke, Thomas (Hg.) 2013: Sammeln, Erforschen, Zurückgeben. Menschliche Gebeine au der Kolonialzeit in musealen und akademischen Sammlungen. Berlin

 

Thode-Arora, Hilke 2014: From Samoa with Love? Samoa-Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München

 

Thomas, Nicholas 1991: Entangled Objects. Exchange, Material Culture and Colonialism in the Pacific. Cambridge/MA

 

Wastiau, Boris 2001: Exit Congo Museum: An Essay on the ‚Social Life’ of the Masterpieces of the Tervuren Museum. Tervuren

 

Zimmerer, Jürgen 2016: Kulturgut aus der Kolonialzeit ein schwieriges Erbe? In: Museumskunde 80, S. 22-25

 

1 Siehe z.B. die Kampagne "NoHumboldt 21": http://www.no-humboldt21.de/information/preussischer-kulturbesitz

 

2 Ivanov (in Vorbereitung).

 

3 Vgl. das dazu ins Leben gerufene Projekt „Schwieriges Erbe“ am Linden-Museum Stuttgart, in Kooperation mit der Universität Tübingen: http://www.lindenmuseum.de/service-menue/presse/schwieriges-erbe

 

4 Vgl. Meldung der dpa vom 11.2.2016. Vgl. insgesamt Simpson 2001.

 

5 Grütters 2016, S. 8.

 

6 Vgl. Museumskunde, Band 81/2016 (im Erscheinen).

 

7 Z.B. in jüngster Zeit für den deutschsprachigen Raum: Erckenbrecht 2010, Stelzig 2004, Thode-Arora 2014.

 

8 Antwort auf die Kleine Anfrage der Grünen/Berlin zur postkolonialen Auseinandersetzung mit dem Humboldt-Forum vom 28.6.2013, Abgeordnetenhaus Berlin, 17. Wahlperiode, Drucksache 12/360.

 

9 Vgl. hierzu Förster 2016.

 

10 Vgl. Zimmerer 2016.

 

11 Vgl. Clifford 1997

 

12 Thomas 1991.

 

13 In Bezug auf Sammlungen z.B. Berner et al. 2011, Wastiau 2001.

 

14 Z.B. Byrne 2011.

 

15 Z.B. O’Hanlon & Welsch 2001.

 

16 Vgl. Simpson 2001.

 

17 Für Artefakte z.B. Plankensteiner 2016, Splettstösser 2015; für menschliche Überreste z.B. Stoecker et al. 2013, Fründt 2011. Vgl. auch Deutscher Museumsbund 2013.